Der Event Circle im Zürcher Hotel Atlantis by Giardino sollte ein sehr prägender Sommeranlass sein. Die Ausführungen von Deutschlands bekanntestem Obdachlosen liessen niemanden unberührt. Schier unglaublich mit welcher Energie und Haltung Richard Brox mit seiner 30 Jahre dauernden Obdachlosigkeit umgeht. Und wie er heute nichts anderes tut, als mit Gottes Lohn kranken Obdachlosen zu helfen und sie zu begleiten.
Text: Michael Hutschneker
Bilder: Christian Bettinger, photobasilisk
Seit der Bekanntgabe des Programms für den dritten «Event Circle» im laufenden Jahr war allen Interessierten bewusst: Das wird ein ungewohnter, ja vielleicht ein nicht ganz einfach zu verarbeitender Abend. «Obdachlos und kein Weg zurück?», so der Titel der Ausführungen von Richard Brox. Als Vollwaise im Alter von 21 Jahren und nach einer Zwangsräumung der Wohnung stand er mit zwei Plastiksäcken auf der Strasse und blieb mit kurzen Unterbrechungen.... unglaubliche 30 Jahre wohnungslos. Vor einigen Jahren begann er einen Internet-Blog zu schreiben, in welchem er Obdach- und Wohnungslosen Ratschläge gibt und Notunterkünfte in ganz Deutschland bewertet. Auch dies hat ihm vor allem in Deutschland zu einer gewissen Bekanntheit verholfen.
Vom Holocaust traumatisiert
Es war das Jahr 2011 als der Kölner Schriftsteller Günter Wallraff auf Richard Brox zuging und ihm gegenüber meinte, man müsse seine Geschichte an die Öffentlichkeit bringen. Damals schon war der Obdachlose Brox seit rund sechs Jahren in ehrenamtlichen Projekten engagiert. Er besucht und betreut noch heute deutschlandweit alleinstehende Obdachlose mit Erkrankungen in fortgeschrittenen Stadien in Kliniken und Spitälern. Oft, wie er selbst betont, bis zum letzten Atemzug. Seine Biografie, die im Dezember 2017 erschienen ist, hat er seinen Kumpel Ralph Scheuermann, der selbst an Leberkrebs gestorben ist, gewidmet. Ralph Brox hat auch ihn bis zum letzten Tag begleitet.
«Vielleicht hatte ich einfach das Pech in eine Familie hineingeboren zu werden, die nach dem im Krieg erlebten nicht fähig war, ihre fünf Kinder zu erziehen»
In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass seine Mutter eine jüdische Polin und sein Vater ein Sinti waren. Erst in den Nachforschungen sei bestätigt worden, dass seine Grossmutter und seine Mutter ihm am Sterbebett erzählt haben, dass sie als Überlebende des Holocaust seelisch gezeichnet und traumatisiert waren. Bald schon wurde das «Problemkind» in Kinder- und Jugendheimen untergebracht. Unterkünfte, in welchen sexueller Missbrauch und Gewalt an der Tagesordnung standen. Eine weitere Überführung an die Kinder- und Jugendaufsicht in Mannheim habe dazu geführt, dass er mehr auf der Strasse als sonst irgendwo gelebt habe. Brox: «Trotzdem war das Elternhaus immer noch der Mittelpunkt meines Lebens.»
Man muss auch geben!
Im April 1986, Brox war 21 und Vollwaise, folgte dann mit der Zwangsräumung der Wohnung seiner Eltern ein weiterer sehr prägender Schnitt. Eine Wohnung, in welche er sich jederzeit zurückziehen konnte. Weil seine Mutter gestorben war, hätte das Sozialamt den Mietvertrag auf seinen Namen ändern müssen, was aber verweigert wurde. Mit zwei Säcken landete Richard Brox in der Mannheimer Notübernachtung. In einem 20m2 kleinen Raum mit 29 anderen gescheiterten Typen; Alkoholiker, Junkies, psychisch Kranken, Spielsüchtigen. Am nächsten Morgen waren seine zwei Säcke gestohlen. Brox stand auf der Strasse – mit absolut nichts.
«30 Jahre auf der Strasse haben mich geprägt und so habe ich einen Blog und das erste Internetportal gegründet, auf welchem sämtliche mir damals bekannten Adressen aufgeführt waren, an welche sich Obdachlose in vielen Orten wenden können», führte Brox weiter aus.
«Ich habe keinen Schulabschluss, keine Berufsausbildung, aber ich gebe meine Kraft zurück an unbekannte Menschen, die mir geholfen haben. Man kann nicht nur nehmen, man muss auch mal geben!»
Der Referent und Buchautor bezeichnet denn auch das Recht auf Würde, Respekt und Anstand als Grundwerte einer funktionierenden Demokratie. Der grösste Luxus für ihn als Obdachloser sei es, in einem Bett schlafen zu können, wo alles sauber ist und es auch gewaschene Handtücher gibt. In vielen Notunterkünften sei dies nicht der Fall. Als Sinn seines Lebens nennt Brox seine ehrenamtliche Einsätze für schwerstkranke Obdachlose und auf seine ebenso ehrenamtlichen Tätigkeit für das von der Heilsarmee in Göttingen geführte Hospiz und Wohnheim für Obdachlose. Ehrenamtliche Einsätze, die er sich dank dem Erlös aus einem Buch leisten kann. Und von seinem wenigen Geld, welches er als Tagelöhner erhält, gehen täglich 20 Prozent davon an Obdachlose.
Ausrufezeichen Empathie
Richard Brox appellierte an die Anwesenden, an auf der Strasse Bettelnden nicht einfach vorbeizugehen: «Wenn man Menschen in Not nicht hilft, ist das ein Vergehen an diesen Menschen. Sprechen Sie mit diesen Menschen aus Respekt per Sie, sprechen Sie auf Augenhöhe, seien Sie bitte freundlich und ehrlich und lassen Sie kein Mitleid spüren!» Gleichzeitig mahnte Brox aber auch zur Vorsicht. Mit Empathie und Herzen bei der Sache zu sein, sei sehr wichtig.
«Empathie ist das schönste Geschenk für einen Menschen!»
Empathie durfte Richard Brox nach seinen eindrücklichen Ausführungen durch den starken Applaus der Anwesenden aber auch durch die Reaktion des Gastgebers erfahren. General Manager Riccardo Giacometti meinte, es sei nach diesem Referat nicht angebracht, einen Wettbewerb mit schönen Preisen durchzuführen. Stattdessen wurden die von der Giardino Gruppe gespendeten Gutscheine unter den Gästen versteigert und der Erlös ging an die von Richard Bronx unterstützten Projekte. Der Betrag wurde vom Atlantis by Giardino grosszügig aufgerundet und auch der Event Management Circle selbst hat eine Spende zugesagt.
Nachdenklich-gemütlicher Ausklang
Mit der Überleitung zum gemütlichen Beisammensein unter bekannten EMC-Profis und der Möglichkeit, neue Kolleginnen und Kollegen kennen zu lernen, wurde der offizielle Teil abgeschlossen. Der vom Atlantis by Giardino in der Bar gereichte ebenso vorzügliche wie grosszügige Apéro riche und die ebenso vorzügliche musikalische Umrahmung der Drei-Mann-Liveband «Raymon», liessen den Abend zwar nachdenklich aber auch gemütlich ausklingen. Auf ein Wiedertreffen am 26. November 2019 in Basel zum Thema «Nachhaltigkeit – was steckt dahinter?».
PS
Ebenfalls im November erscheint übrigens das zweite Buch von Richard Brox, in welchem u.a. Menschen zu Wort kommen, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Der Verfasser ist von der Wichtigkeit überzeugt, diesen Menschen ein Sprachrohr zu geben.
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